– von Franziska Balzer
Seit über 50 Jahren wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz Ultimate gespielt und seit ähnlich langer Zeit auch von Frauen. Wie unterscheidet sich die Erfahrung und die Wahrnehmung des Sports von jungen Frauen heute und damals? Um das herauszufinden habe ich mit Spielerinnen der ersten und der heutigen Generation junger Frauen aus der DACH-Region gesprochen.
Ich brauche ganze fünf Tage, um meine Mutter und ein Aufnahmegerät an diesem bewölkten Sonntagmorgen für dreißig Minuten an unseren Küchentisch zu bekommen. Der erste Morgen dieser Woche, an dem nichts im Garten zu tun ist, keine Kunden zurückgerufen werden müssen und keine Einkäufe zu erledigen sind. Wie sie es normalerweise auch noch einmal die Woche zum Ultimate Training schafft, ist mir ein Rätsel. Obwohl ich vielleicht nicht nach dem „Wie“, sondern nach dem „Warum“ fragen sollte.
Warum schwingt sich meine Mutter, kaum dass sie zu Hause angekommen ist, gleich wieder auf ihr Fahrrad und radelt durch die halbe Stadt, nur um mit einem Haufen Teenager*innen auf einem Feld, das eher an einen Acker erinnert, ein Spiel zu spielen, das bei den meisten Menschen hauptsächlich große Fragezeichen hervorruft?
Nun, meine Mutter würde anmerken, dass der Haufen Teenager*innen, mit dem sie spielt, größtenteils aus ihrer eigenen Familie besteht und Ultimate Training daher als Familienzeit durchgeht. Meine Mutter würde auch sagen, dass Ultimate für sie nicht bloß eine Nischensportart ist, sondern Teil ihres „Lifestyles“. Unglücklicherweise wird dieser Artikel von ihrer Teenager Tochter geschrieben, die jegliche Gefühlsduselei zensieren wird.
Ob sie das wirklich so sagen würde, habe ich nachgeprüft und nicht nur bei meiner Mutter, sondern bei insgesamt sieben Spielerinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eine Woche lang habe ich Ultimate Spielerinnen interviewt, die entweder in meinem Alter oder im Alter meiner Mutter sind. Ich wollte herausfinden, was es bedeutet eine Frau im Ultimate zu sein und wie sich diese Erfahrung verändert hat.
Die Spielerinnen der ersten Ultimate Generation sind jetzt in ihren Fünfzigern und auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen zum Ultimate gekommen. Eva berichtet von einem langen Sommer im Karlsruher Schlossgarten, in dem sie nicht nur Ultimate, sondern auch noch ihren zukünftigen Lebenspartner kennenlernte. Simone nahm, nachdem sie bei einem Turnier ihres Bruders zugesehen hatte, selbst die Scheibe in die Hand. Aiken* stolperte während eines Besuchs in den USA über den Sport. Sabine lernte Ultimate bereits mit siebzehn kennen, als ein amerikanischer Sportlehrer an ihre Schule kam und anfing eine Scheibe „herumzuwerfen”. Meine Mutter hatte es einfach nur satt, im Basketball den Korb nicht zu treffen und war auf der Suche nach einem neuen Sport – möglichst einem ohne Bälle und Körbe. Diese Frauen sind nun alle seit über dreißig Jahren in der Ultimate Community unterwegs, ob als Zuschauerinnen oder auf dem Spielfeld.
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Was hat die fünf so lange begeistert und dabei gehalten?
“Man wurde relativ schnell in die Gruppe integriert….Und es gab viele Partys”, erzählt meine Mutter. „Die Hürden waren nicht so hoch. Man durfte einfach mitspielen, auch wenn man nicht so toll spielen konnte.“
„Es war definitiv die Art der Menschen. Dieser Spirit of the Game war sicher ein Grund, warum ich auch immer noch dabei bin, weil das einfach eine Lebenseinstellung ist“, sagt Sabine.
„Ein Sport, der auf Fairness basiert, war eine schöne Abwechslung“, meint Eva und fügt hinzu: “Frisbee hatte schon immer etwas Hippie-mäßiges.“
Simone war begeistert, weil „{…} eine Frisbee kein Ball ist….Oh und der Spirit of the Game natürlich.“
Der Spirit of the Game und die Ultimate Community sind die wiederkehrenden Antworten auf meine Frage. Der Sport selbst wird eher am Rande erwähnt. Vor allem Frauen Single Gender Ultimate war in der Vergangenheit wohl weniger beliebt als heute.
„Es gab keine taktische Finesse. Wir haben uns getroffen, eingeworfen und gespielt. Diese ganzen Drills, das gab es gar nicht”, erinnert sich Sabine. „Sogar die Frauen im Nationalteam waren nicht bereit härter zu trainieren”, erzählt mir Aiken*, die von dem mangelnden Ehrgeiz ihrer Teamkolleginnen frustriert war. „Es hieß dann „Joggen? Das kann ich nicht!“, aber für mich war klar: Training heißt sich den Arsch aufreißen.”
Genauso gab es auch Spielerinnen, die der allgemeinen Lässigkeit etwas abgewinnen konnten: „Für mich war es wichtig, dass Frisbee kein ‘uniformierter’ Sport war”, meint Eva und erzählt mir von dem Widerstand, den es gegen die Einführung von Rückennummern gab. „Es war völlig egal welche Sporthose ich trage. Und die Trikots konnten abgerissene Ärmel haben, je geflickter desto besser!“


Für die jungen Frauen von heute gehören die Zeiten, in denen Joggen vor dem Training und Rückennummern noch optional waren, anscheinend der Vergangenheit an. Die Spielerinnen, mit denen ich gesprochen habe, gehen ambitioniert an den Sport heran.
“Ich fühle mich langsam schon wie eine Leistungssportlerin“, erzählt mir Linnea, eine junge schweizer Nationalspielerin, die letztes Jahr noch im U24 Frauen Nationalteam gespielt hat. Vor allem ihre Zeit in den Nationalteams hat ihr dieses Gefühl gegeben. Mit den vielen Trainingsplänen hat sie ein professionelles Trainingspensum. Zudem wurden die Schweizer Ultimate Nationalteams bei Swiss Olympic aufgenommen, einem Schweizer Verband, der Sportler*innen und Vereine unterstützt. Seit sie die Swiss Olympic Card hat, bekommt Linnea Rabatte bei Sportgeschäften und Fitnessstudios und Anerkennung bei ihren Freund*innen: „Ich fühle mich endlich mal bestätigt, dass ich auch Leistungssport mache. Wenn ich früher meinen Freunden erzählt habe, dass ich eine Weltmeisterschaft spiele, kam dann der Kommentar ‚ja in das Nationalteam kommt doch jeder‘. Inzwischen bekomme ich da ein bisschen mehr Anerkennung.“
Alle der Befragten sind sich einig, dass Frauen Ultimate enorme Entwicklungen und, wenn man die Athletik und taktische Vielfalt betrachtet, Fortschritte gemacht hat.
„Es ist wahnsinnig, was da alles trainiert wird. Der Sport ist unglaublich athletisch geworden”, meint Eva, als ich sie frage, wie sie das sportliche Niveau von Ultimate heute bewerten würde.
Als Eva, Aiken*, Sabine und meine Mutter in den Achtzigern anfingen Ultimate zu spielen, war das technische Niveau von Frauen Single Gender Ultimate nicht besonders hoch. Den Begriff “Tausend-Turnover-Spiel” bekomme ich im Verlauf der Interviews gleich dreimal zu hören.
Daher ist es nicht überraschend, dass drei von ihnen angeben in den ersten Jahren Mixed gespielt zu haben, um anspruchsvolles Ultimate zu spielen.
Inzwischen gibt es einen stetigen Zuwachs an Teams. Allein in Köln sind es meines Wissens vier und vielleicht auch noch weitere, die ich gerade vergessen habe. Damit gibt es eine große Auswahl an Teams für neue Spielerinnen, die über das Level und die Division, in der sie spielen möchten, entscheiden können.
Heute haben junge Frauen viele Möglichkeiten Ultimate zu spielen: In der U14 mischen Mädchen ordentlich mit im open Spielmodus. Mixed wird weitläufig angeboten (Mitte) und ab der U17 gibt es mittlerweile auch single gender Angebote (rechts). Die Zahl der Frauen Teams steigt ebenfalls.
Mixed ist immer noch eine beliebte Division, aber nicht mehr die einzige Möglichkeit als Frau ambitioniertes und raffiniertes Ultimate zu spielen. „Beim Mixed hatte ich immer das Gefühl mich beweisen zu müssen. Auch wenn du frei bist, geben dir die Burschen halt trotzdem nicht die Scheibe. Bei den Frauen war das nie so” , erzählt mir Flora, eine junge Österreicherin, als ich sie frage, ob sie eine Lieblingsdivision hat.
Während meiner Gespräche bekomme ich den Eindruck, dass sich Frauen Single Gender Ultimate stark verändert hat. Die Frauen Division bietet jetzt eine echte Alternative für die junge Generation von sportlich ambitionierten Frauen, die sich nicht über Männer ärgern wollen, die Frauen nicht anspielen.
Umso frustrierender ist es natürlich, wenn trotz erbrachter sportlicher Leistung die Anerkennung ausbleibt. Linnea, Flora, Rahel und Bec* haben alle bereits in einem Nationalteam gespielt. Bei den mehrheitlich ambitionierten jungen Spielerinnen, die viel Zeit und Engagement in ihren Sport stecken, steigt auch der Wunsch nach Anerkennung für ihre Leistung. Auf Turnieren ziehen Frauenspiele aber immer noch weniger Zuschauer*innen an. „Ich habe mal Freunde zu einem Turnier eingeladen und nach zehn Minuten haben sie nicht mehr meinem Spiel, sondern dem Open Spiel auf der anderen Seite zugesehen”, erzählt mir Linnea. „Im Open Finale sind alle Zuschauer da und bei den Frauen vielleicht die Hälfte”, meint Bec*, eine deutsche Juniorin und Nationalspielerin. „Aber ich kann mir das schon erklären, Open sieht halt von außen interessanter aus.”
Viel entspannter sehen das die älteren Spielerinnen und freuen sich erstmal darüber, dass sie sich nicht mehr anhören müssen, dass Frauen Frisbee kein richtiger Sport sei.

Inzwischen habe ich mich über den Zeitraum einer Woche mit Ultimate-begeisterten Frauen unterhalten. Ich habe mit zwei Handys (eins zum Telefonieren und eins zum Aufnehmen) an meinem Schreibtisch gesessen, Fragen gestellt und so gut zugehört, wie es die Internetverbindung erlaubt hat. Als Ergebnis dieser Unterhaltungen kann ich ein paar Dinge über Ultimate sagen. Es hat sich verändert.
Sabine erzählte mir noch, dass der Sport “damals Gesellschafts basierter war. Wenn da eine Beziehung auseinander gegangen ist, hat eher mal die Frau als der Mann den Sport aufgegeben.” Heute haben wir eine wachsende Community von weiblichen Spielerinnen, die Ultimate nicht so schnell aufgeben werden. Mit diesem Zuwachs an ambitionierten Sportlerinnen verändert sich auch das sportliche Niveau des Spiels. Mit Trainingsplänen, ausgefeilte Techniken und ständig neuen Strategien ist der Sport interessanter, aber auch anspruchsvoller geworden. „Die höhere Qualität des Sports finde ich natürlich gut. Aber ich habe es oft auch erlebt, dass Leute, die ein bisschen länger brauchen, um gut zu werden, schneller gefrustet sind“, meint Eva, die sich selbst nicht sicher ist, ob sie heute im Ultimate Fuß fassen würde. „Aber genauso kannst du auch gefrustet sein, wenn das Spielniveau nicht besser wird und du Leute ewig mitschleppen musst“, schiebt sie nach kurzem Überlegen hinterher. Im Allgemeinen überwiegt die Meinung, dass der gesteigerte sportliche Anspruch dem Ultimate gut tut. „Da findet jeder einen Platz“, meint auch Simone.
Aber ein paar Dinge sind auch gleich geblieben: So ist die Begeisterung für die Community und den Spirit of the Game in beiden Generationen zu spüren.
„Die Leute ticken alle gleich, das hat mir gefallen“, sagt Flora und Rahel meint: „Frisbee ist wie eine große Familie.“ Auch die Faszination an der Scheibe zeigt sich in allen meinen Interviews. Rahel und Simone, die Mutter und Tochter sind, schwärmen davon, wie toll es ist einen präzisen Pass zu werfen: „Bei jedem Wetter“, erklärt Simone, „wenn man das bei jedem Wetter kann…“. „Und aus 30 Meter Entfernung genau sagen kann, wo die Scheibe landen wird…“, ergänzt Rahel, „dann hat das schon was.“
Einen Unterschied zwischen den Generationen gibt es allerdings doch:
Frauen, die den Sport heute kennenlernen, haben einen entscheidenden Vorteil im Vergleich mit der Generation meiner Mutter: Wir haben mehrere Generationen von Frauen, zu denen wir aufschauen können, deren Weg wir weiter gehen können. Linnea sagte mir Folgendes: ”Es gab zwei Frauen, die meine Vorbilder waren damals. Ich wollte so gut werden wie die.“ Ich denke, diese Aussage zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Wenn wir weibliche Vorbilder haben und sein können, machen wir Ultimate zugänglicher für noch mehr Mädchen und Frauen. Je mehr Frauen Ultimate spielen, desto mehr tolle Menschen lernt man kennen. Je mehr Menschen man kennenlernt, desto mehr Spaß macht das Ganze. Und darum geht es heute wie damals gleichermaßen: um den Spaß mit unserem Team einer Scheibe hinterher zu laufen.
(* Name von der Redaktion geändert)
Franziska ist eine Juniorin aus Köln, die nicht nur ihr Heimteam – die “Cologne Colibris” – sondern auch das Frauenteam “U de Cologne” und das Deutschen U20 Frauen Nationalteam vertritt. Ihre ganze Familie spielt Ultimate, was ihr ursprünglich keine Wahl ließ, als auch die Scheibe in die Hand zu nehmen. Inzwischen ist sie allerdings sehr froh darüber und ihr Lieblingswurf ist der Vorhand Inside. Neben Ultimate Frisbee interessiert sich Franziska für Schreibmaschinen und bereitet sich auf ein Journalismus Studium vor.
Danke dir für den Artikel und die Interviews, ein schöner Einblick in die Entwicklung über die Generation hinweg.
PS: Nach Aiken und Bec befindet sich ein *. Sollte da ein Hinweis stehen, dass der Name geändert wurde? Den finde ich nirgendwo. Oder ist das ein Gendersternchen…?
Hallo Johannes,
danke für dein Lob und den Hinweis mit dem *. Das * zeigt an welche Namen geändert wurden, weil die Gesprächspartnerinnen von Franziska teilweise anonym bleiben wollten. Da gehört natürlich ein Hinweis unter den Text, das wird sofort erledigt.
Viele Grüße
Caro
Schöner Artikel, danke dafür!
Mixed – oder „co-ed“ – gab es bis Mitte der 1990er übrigens eher inoffiziell. Auf Großbwerben wurde diese Division bei der WUC 1998 in Blaine/Minneapolis eingeführt, und das mit österreichischer Beteiligung, die noch dazu sehr erfolgreich war.
Ich selbst habe von 1989 bis 2009 leidenschaftlich Ultimate gespielt und würde es als betagte Spielerin wohl noch immer tun, hätte ich nicht ein kaputtes Knie. Auch wenn mir das mein geliebter Sport beschert hat, ich bereue diese intensiven Jahre in keiner Weise. Ultimate war und ist eine Bereicherung für mich und hat meine Lebenseinstellung geprägt.